Sind wir es unseren Eltern schuldig, sie im Alter zu pflegen?

Die Pflege von Eltern im Alter ist oft eine unerwartete Herausforderung, die von einem Tag auf den anderen plötzlich auftreten kann. Wenn Eltern pflegebedürftig werden, stehen viele vor der Frage: Soll ich die Pflege von meinen Eltern im Alter selbst übernehmen, zumindest so lange, wie es die Pflegekarenz ermöglicht, oder gibt es andere Optionen? Bin ich es meinen Eltern schuldig?

 

Eine jüngere Frau tröstet eine ältere Frau am Tisch, symbolisiert emotionale Unterstützung und Mitgefühl.

 

Hannah (52) kämpft nicht selten mit Schuldgefühlen, wenn es um ihren Vater geht. Dieser befindet sich nun bereits seit zwei Jahren in der Obhut einer 24-Stunden-Betreuung. Hannah und ihre Familie verstehen sich gut mit der Pflegekraft, sie sehen sie mittlerweile als Familienmitglied an, und auch ihr Vater wirkt recht zufrieden. Hannah unterstützt ihn finanziell, indem sie einen Teil der Pflegekosten übernimmt.

 

Trotzdem wird sie oft von Schuldgefühlen geplagt, weil sie so viele Aufgaben einfach abgegeben hat und aufgrund ihres Berufs fast nie Zeit hat, bei ihm vorbeizusehen, geschweige denn, sich selbst um die Pflege zu kümmern. Zu Beginn wusste sie zudem auch nicht, ob sie nicht eigentlich gesetzlich dazu verpflichtet sei, denn außer ihr hat ihr Vater keine nahestehenden Angehörigen mehr.

 

Nahaufnahme von zwei Händen, eine ältere und eine jüngere, die sich in einem Akt des Mitgefühls halten.

Gesetzliche Rahmenbedingungen

Bei der Frage, inwieweit Kinder ihren Eltern gegenüber zu Unterstützung im Alter verpflichtet sind, spielt auch der rechtliche Aspekt eine wesentliche Rolle. Aus rechtlicher Perspektive müssen Eltern ihren Kindern Unterhalt bezahlen, bis sich diese selbst erhalten und versorgen können .

 

Dieses Blatt kann sich jedoch mit fortschreitendem Alter schnell wenden, denn Eltern haben ebenso Anspruch auf Unterhalt, wenn diese nicht mehr selbst für die Abdeckung ihres Lebensunterhalts sorgen können. (siehe die offizielle Seite der österreichischen Regierung).

 

Ein hölzerner Richterhammer neben einem Stapel Gesetzbücher symbolisiert rechtliche Entscheidungen und Gerechtigkeit.

 

Seit dem Jahr 2018 ist jedoch das Zurückgreifen auf vorhandenes Vermögen - sei es das der Angehörigen oder das der pflegebedürftigen Person selbst - nicht mehr zulässig. Aus finanzieller Sicht sind also die Kinder ihren Eltern nichts schuldig.

 

Wäre dies der Fall, würde sich die Frage nach der Schuld für viele wahrscheinlich gar nicht stellen. Doch wie sieht das Ganze aus moralischer Sicht aus? Trage ich eine Art Erbschuld, die mich dazu verpflichtet meinen Eltern das zurückzugeben, was ich in meiner Kindheit von ihnen bekommen habe?

 

Gesellschaftlicher Druck

Hannahs Freundin Sabine kann die Frage, ob sie ihren Elternteilen die Versorgung am Lebensabend schuldig ist, für sich mit einem klaren Ja beantworten. Denn sie hat vor beinahe vier Jahren ihren Beruf aufgegeben, um sich der Pflege ihrer Mutter anzunehmen. Dies hat die Freundschaft der beiden schon mehrmals auf die Probe gestellt, denn Sabine kann die Entscheidung ihrer Freundin nur schwer nachvollziehen.

 

Eine Hand in einem Anzug, die direkt auf die Kamera zeigt, als Symbol für Anklage oder Urteilsverkündung.

 

Für sie war es selbstverständlich, die Pflege zu übernehmen – eine Einstellung, die der generellen gesellschaftlichen Tendenz zu diesem Thema entspricht. Die sozialen Dienste bieten in solchen Fällen oft Unterstützung an. Doch trotz dieser Hilfe entsteht vor dem Hintergrund der immer älter werdenden Gesellschaft ein enormer Druck auf Angehörige und Kinder. 

 

Klar ist, dass sich jemand um die Bedürfnisse dieser Personen kümmern muss. Da der Personalmangel in der österreichischen Pflegebranche weiterhin ansteigt, liegt es nahe, dass diese Aufgabe auf die Kinder der Pflegebedürftigen zurückfallen wird.

 

 

Leicht erkennbar ist dieser Verlauf vor allem am Anteil der bedürftigen Menschen, die von Angehörigen zu Hause gepflegt werden. Dieser Anteil liegt aktuell bei rund 80 %. Doch neben diesem gesellschaftlichen Druck spielen oft auch eigene Schuldgefühle eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung, die Pflege zu übernehmen. Die Qualitätssicherung in der häuslichen Pflege ist ein weiterer Aspekt, der eine Rolle spielt, wenn sich Angehörige für oder gegen die Betreuung durch externe Kräfte entscheiden.

 

Unterschiedliche Familienverhältnisse

Die Entscheidung, ob man die Pflege von Eltern im Alter selbst übernimmt, hängt oft von der familiären Situation ab. Hannah kann auf eine erfüllte Kindheit und eine stabile Eltern-Kind-Beziehung zurückblicken, doch sie weiß, dass es auch Familien gibt, in denen das Verhältnis zwischen den Familienmitgliedern ganz anders ist. Es gibt auch Menschen, die seit ihrer frühen Kindheit in ihrem Umfeld Gewalt oder Misshandlung erlebt haben.

 

Für diese Personen ist es unzumutbar, ihren eigenen Eltern nach solchen Erfahrungen wieder täglich auf einer sehr intimen und emotionalen Ebene zu begegnen. Dennoch haben Menschen, die aus instabilen Familienverhältnissen kommen, paradoxerweise oft stärkere Schuldgefühle, wenn es darum geht, ihre Eltern pflegerisch zu begleiten.

 

Eine Familie, die mit ihrem Kind durch einen herbstlichen Park spaziert, symbolisiert gemeinsame Zeit und Familienbande.

 

Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern beeinflusst das weitere Leben und das Verhalten einer Person massiv, doch unabhängig davon sollte sich niemand aus Schuldgefühlen heraus der Pflege eines Angehörigen annehmen. Denn ein aus Schuld stammendes Verantwortungsgefühl wirkt sich zumeist negativ auf die eigene Gesundheit aus.

 

Die eigene Gesundheit soll nicht darunter leiden

Nimmt man sich der Pflege an, weil man von Schuldgefühlen geplagt wird, kann dies zu enormer psychischer Belastung führen. Während Sabine Hannah nicht selten vorhält, dass sie sich zu wenig um das Wohl ihres Vaters kümmere, ist sie auch diejenige, mit ihren eigenen Problemen manchmal kaum fertig wird.

 

Neben der anspruchsvollen Aufgabe, sich um ihre Mutter zu kümmern hat Sabine mit Depressionen zu kämpfen. Dass diese beiden Faktoren unter Umständen miteinander verknüpft sein könnten, ist ihr nicht bewusst.

Depression bei pflegenden Angehörigen

Tatsächlich leiden pflegende Angehörige sehr oft unter Depressionen oder weisen zumindest depressive Symptome auf. Es ist eine körperlich anstrengende Arbeit, die mit einer enormen psychischen Belastung einhergeht. An Demenz erkrankte Menschen durchleben nicht selten starke charakterliche Veränderungen, die sich unter anderem in Aggression zeigen, und dies geht auch an den pflegenden Angehörigen zumeist nicht spurlos vorbei. Zudem wird die Gesundheit der zu pflegenden Person zunehmend zum Mittelpunkt des eigenen Lebens und das eigene Wohlbefinden wird in den Hintergrund gedrängt.

 

Ein älterer Mann hält sich verzweifelt den Kopf, symbolisiert mentale Belastung oder Depression.

 

Eine philosophische Perspektive:

Dies hat auch die Philosophin Barbara Bleisch in ihrem Buch „Warum wir unseren Eltern nichts schulden“ herausgefunden. Ihrer Auffassung nach wäre es verkehrt, in der Eltern-Kind-Beziehung von einem Schuldner-Gläubiger-Verhältnis auszugehen. Niemand habe darum gebeten, geboren zu werden, weshalb sich auch die Eltern aus freien Stücken um das Kind kümmern würden. Alleine aufgrund dieser Tatsache könne der Autorin zufolge keine Gegenleistung von den Kindern verlangt werden.

 

Es ist Teil des Elternseins, den Kindern den Weg in ein eigenständiges Leben zu ermöglichen. Verlangt man dann von ihnen, sich im Alter vollkommen um einen selbst zu kümmern und demnach diese erworbene Eigenständigkeit zu einem gewissen Grad wieder abzulegen, würde sich dies stark widersprechen.

 

Hilfe und Unterstützung in Notsituationen

Selbstverständlich bedeutet dies nicht, dass es nicht wünschenswert wäre, in Notsituationen oder im Alter Hilfe und Unterstützung durch die eigenen Nachkommen zu erfahren. Kümmert man sich aber 18 Jahre lang liebevoll und fürsorglich um seine Kinder, wird dies in den meisten Fällen ohnehin eine Dankbarkeit erzeugen, die ein angenehmes Leben der Eltern zur Priorität für die Kinder werden lässt.

 

Noras Fazit

Eine Cartoon-Krankenschwester mit grünem OP-Oberteil, lächelnd.

 

Um langfristig eine echte Unterstützung für die eigenen Eltern zu sein, muss ein Kompromiss gefunden werden, der den Angehörigen dennoch erlaubt, ihr Leben frei zu gestalten. Dies ist wichtig, um auch die eigene psychische Gesundheit zu erhalten.

 

Die Pflege von Eltern im Alter ist eine Aufgabe, die gut geplant und ausgewogen angegangen werden muss, um sowohl das Wohl der Eltern als auch das eigene zu gewährleisten. Die Pflege und Betreuung von nahen Angehörigen kann herausfordernd sein, aber mit den richtigen Unterstützungsangeboten, sei es durch den Staat oder private Anbieter, lassen sich diese Herausforderungen bewältigen.

 

Möchte man sich der Pflege der Eltern selbst annehmen, sollte man sich über die eigenen  Beweggründe im Klaren sein. Handle ich aus Schuldgefühlen, weil sie mir eine gute Kindheit ermöglicht haben, oder handle ich aus purer Dankbarkeit meinen Eltern gegenüber?

 

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