Pflege ABC - E wie Epilepsie
Epilepsie verstehen und Betroffene sicher begleiten – Dein umfassender Ratgeber für die Pflege
Ein Gewitter im Kopf – so oder ähnlich lässt sich Epilepsie beschreiben. Die Ursache dieser neurologischen Erkrankung sind synchrone elektrische Entladungen der Nervenzellen im Gehirn, die zu plötzlichen Bewegungsstörungen führen können.
Stell Dir vor, Deine Mutter sitzt friedlich beim Frühstück. Plötzlich verkrampft sich ihr Körper, sie fällt vom Stuhl, verliert das Bewusstsein und beginnt zu zucken. Panik bricht aus. Niemand weiß genau, was zu tun ist – außer Dir. Du erinnerst Dich an das, was Du gelesen und gelernt hast. Du schützt ihren Kopf, zählst die Minuten, sprichst ruhig mit ihr. Du hilfst.
Diese Szene ist leider Alltag für viele Angehörige. Epilepsie tritt häufig unvermittelt und heftig auf – ein Moment verändert alles. Damit Du im Ernstfall nicht hilflos bist, sondern gezielt und sicher reagieren kannst, erklären wir Dir in diesem Artikel alles Wichtige zur Pflege bei Epilepsie – von der Ersten Hilfe bis zur langfristigen Begleitung.
Denn: Wenn Du weißt, was im Notfall zu tun ist, kannst Du nicht nur Leben retten – Du gibst der betroffenen Person auch Sicherheit, Vertrauen und Würde zurück.
Was ist Epilepsie und wie äußert sie sich?
Epilepsie ist eine chronische neurologische Erkrankung, bei der es wiederholt zu plötzlichen, unkontrollierten elektrischen Entladungen im Gehirn kommt. Diese Entladungen stören die normale Funktion der Nervenzellen und führen zu sogenannten epileptischen Anfällen – diese können ganz unterschiedlich verlaufen: vom kurzen „Wegtreten“ bis hin zu starken Muskelkrämpfen mit Bewusstlosigkeit.
Epilepsie kann Menschen jeden Alters betreffen, tritt aber besonders häufig im Kindes- und Seniorenalter auf. Eine ausführliche, medizinisch fundierte Erklärung findest Du auch beim Gesundheitsportal Österreichs.
Ein berührendes Beispiel aus dem Alltag
Als Martina, 42, zum ersten Mal mit einem Anfall ihres Vaters konfrontiert wurde, war sie völlig unvorbereitet. Es war ein ruhiger Sonntag – sie saßen im Wohnzimmer, tranken Tee, unterhielten sich über die Familie. Plötzlich verstummte ihr Vater, seine Augen verdrehten sich, und sein ganzer Körper begann zu zucken. Sein Kopf kippte zur Seite – gefährlich nah an den Glastisch. Martina erstarrte für einen Moment.
Dann setzte ihr Instinkt ein: Sie erinnerte sich an eine Erste-Hilfe-Schulung aus ihrer Ausbildungszeit. Mit zitternden Händen schob sie den Tisch zur Seite, griff ein Sofakissen und legte es unter seinen Kopf. Sie sprach ruhig auf ihn ein, auch wenn sie nicht wusste, ob er sie hören konnte. Die Minuten fühlten sich ewig an.
Als der Anfall nach etwa zwei Minuten vorbei war, atmete sie tief durch. Ihr Vater war benommen, verwirrt, aber bei Bewusstsein. In den Tagen danach suchte Martina gezielt nach Informationen und begann, ihr Zuhause sicherer zu gestalten: rutschfeste Teppiche, gepolsterte Ecken, ein Notfallplan. Heute fühlt sie sich vorbereitet – und ihr Vater fühlt sich sicherer. Diese Erfahrung hat sie tief geprägt – und zeigt, wie wichtig es ist, vorbereitet zu sein. Denn Wissen schafft Sicherheit – für Dich und Deine Liebsten.
Unterschiedliche Arten epileptischer Anfälle
Epileptische Anfälle sind nicht immer gleich – sie unterscheiden sich je nach Ursprung und Ausprägung im Gehirn. Manche Betroffene bleiben bei Bewusstsein, andere verlieren es plötzlich. Damit Du weißt, woran Du verschiedene Anfallsformen erkennen kannst, findest Du hier eine Übersicht:
Ursachen und Risikogruppen
Epilepsie kann viele verschiedene Ursachen haben. Oft lässt sich kein eindeutiger Auslöser feststellen – manchmal ist sie angeboren, manchmal tritt sie nach einer Erkrankung oder Verletzung auf. Bestimmte Gruppen sind besonders gefährdet:
- Hirntumore
- Narben im Gehirn (z. B. durch Entzündungen oder Geburtskomplikationen)
- Genetische Faktoren
- Verletzungen (v. a. im Schläfenlappen/Temporallappen)
Besonders betroffen sind Kinder und ältere Menschen. Bei Senior:innen können Schlaganfälle, Demenz oder andere degenerative Erkrankungen epileptische Anfälle auslösen. Deshalb ist in der Pflege älterer Menschen eine besonders achtsame Beobachtung wichtig.
Wie erkenne ich Anzeichen vor einem Anfall?
Manche Menschen spüren kurz vor einem Anfall bestimmte Vorzeichen – die sogenannte Aura. Sie kann ein wertvoller Hinweis sein, dass ein Anfall bevorsteht. Wenn Du weißt, worauf Du achten musst, kannst Du schnell reagieren:
- Kribbeln oder Taubheitsgefühl in Armen oder Beinen
- Unwirklichkeitsgefühl, plötzliches Déjà-vu
- Übelkeit oder Magenziehen
- Geräusche, Gerüche oder Bilder, die nicht real sind
Soforthilfe bei einem epileptischen Anfall
Ein epileptischer Anfall wirkt für Außenstehende oft dramatisch – besonders, wenn man nicht weiß, wie man reagieren soll. Doch mit den richtigen Schritten kannst Du viel bewirken. Wichtig ist vor allem: ruhig bleiben, Verletzungen vermeiden und die betroffene Person schützen.
Hier findest Du eine einfache Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie Du im Notfall richtig handelst – denn jede Minute zählt und Dein Handeln macht den Unterschied:
Langfristige Pflege und Begleitung bei Epilepsie
Nach einem Anfall ist vor der nächsten Herausforderung: Die Pflege und Unterstützung von Menschen mit Epilepsie erfordert Geduld, Struktur und einfühlsames Handeln im Alltag. Mit den richtigen Hilfsmitteln, einem anpassbaren Umfeld und regelmäßiger Dokumentation kannst Du als Angehörige:r oder Pflegekraft nicht nur die Lebensqualität verbessern, sondern auch aktiv zur Anfallsprävention beitragen.
Hilfsmittel im Überblick
Digitale Tools, Notfallhilfen oder smarte Wearables – moderne Technik kann im Alltag mit Epilepsie enorm unterstützen. In der folgenden Tabelle findest Du praktische Hilfsmittel, die sich in der Pflege bewährt haben:
Medikamentenmanagement
Ein strukturierter Umgang mit Medikamenten ist das A und O bei Epilepsie. Viele Betroffene führen mit Antiepileptika ein stabiles, anfallsfreies Leben – vorausgesetzt, die Einnahme erfolgt regelmäßig und korrekt.
Wichtig ist:
- Medikamente konsequent nach ärztlicher Anweisung einnehmen
- Nebenwirkungen beobachten und dokumentieren
- Kontrolltermine beim Neurologen wahrnehmen
Eine umfassende Liste aktueller Antiepileptika und Informationen zu Nebenwirkungen findest Du hier: Deutsche Epilepsievereinigung – Medikamente und Schweizerische Epilepsie-Liga
Laut der Deutschen Epilepsievereinigung können rund 70–80 % der Betroffenen bei regelmäßiger Einnahme langfristig anfallsfrei leben – eine enorme Erleichterung für Alltag und Pflege.
Sicheres Wohnumfeld schaffen
Ein sicheres Zuhause kann das Risiko von Verletzungen deutlich senken – besonders bei unvorhersehbaren Anfällen. Schon kleine Anpassungen machen einen großen Unterschied:
- Rutschfeste Teppiche und Bodenmatten
- Schutzecken und Polster an Möbeln
- Timer und Herdsicherungen in der Küche
- Haltegriffe, rutschfeste Matten und Duschhocker im Bad
Inspirationen und Sicherheitsprodukte findest Du z. B. Auf: Hilfsmittelverzeichnis der Sozialversicherung und Bundesverband für Wohnraumanpassung e.V.
Anfallskalender führen
Ein Anfallstagebuch hilft, Muster zu erkennen und Behandlungen gezielt anzupassen. Ob klassisch auf Papier oder mit App – wichtig ist die Regelmäßigkeit.
Was Du dokumentieren solltest:
- Datum und Uhrzeit des Anfalls
- Dauer und genaue Beschreibung
- Mögliche Auslöser (z. B. Stress, Schlafmangel, Lichtreize)
Noras Tipp-Box: Digitale Helfer für Deinen Pflegealltag
Die Dokumentation epileptischer Anfälle muss nicht kompliziert sein – digitale Tools können Dich effektiv unterstützen:
📱 Apps wie „Seizure Tracker“ oder „EpiDiary“ helfen Dir dabei, Anfälle automatisch zu erfassen, Auslöser festzuhalten und an Medikamente zu erinnern. Sie bieten zudem praktische Auswertungen für Arztgespräche – alles bequem auf Deinem Smartphone.
⌚ Smarte Uhren mit Anfallserkennung, wie z. B. die Empatica Embrace oder EpiLert, analysieren Bewegungsmuster in Echtzeit. Im Notfall alarmieren sie eine vorher festgelegte Kontaktperson – ein echter Sicherheitsgewinn, besonders für alleinlebende Betroffene.
Pflege bei Status epilepticus – der medizinische Notfall
Ein epileptischer Anfall, der länger als 5 Minuten dauert oder wenn mehrere Anfälle ohne Bewusstseinswiederkehr aufeinanderfolgen, gilt als Status epilepticus – ein akuter Notfall, der sofortige medizinische Hilfe erfordert.
Was Du im Ernstfall tun solltest:
- Sofort den Notruf wählen 144 (in Österreich) oder 112 (EU-weit): je schneller der Rettungsdienst eintrifft, desto besser sind die Überlebenschancen.
- Atmung sichern und nicht alleine lassen: Bleibe bei der betroffenen Person, kontrolliere die Atmung und sorge für eine stabile Seitenlage nach dem Anfall.
- Notfallmedikamente verabreichen: Nur, wenn vom Arzt verschrieben: z. B. Diazepam rektal oder Midazolam nasal – genau nach Anweisung anwenden.
- Vitalzeichen beobachten: Achte auf Puls, Atmung, Hautfarbe – jede Veränderung kann ein wichtiger Hinweis für die eintreffenden Rettungskräfte sein.
Wichtig: Zögere nicht, professionelle Hilfe zu holen. Ein Status epilepticus kann lebensbedrohlich sein – Dein schnelles Handeln rettet Leben.
Rechtliches & Pflegegrad
Epilepsie betrifft nicht nur die Gesundheit, sondern kann auch Auswirkungen auf die Pflegebedürftigkeit und die finanzielle Situation einer Familie haben. Je nach Häufigkeit der Anfälle, Schweregrad und dem damit verbundenen Unterstützungsbedarf kann eine Einstufung in einen Pflegegrad erfolgen – sowohl in Österreich als auch in Deutschland.
In Österreich:
Pflegegeld kann beantragt werden, wenn durch Epilepsie ein regelmäßiger Pflege- und Betreuungsbedarf entsteht. Informationen und Antragsformulare findest Du auf
In Deutschland:
Die Pflegeversicherung sieht bei Epilepsie eine Einstufung in einen Pflegegrad vor, wenn Einschränkungen in der Selbstständigkeit bestehen (z. B. bei häufigen Anfällen, kognitiven Beeinträchtigungen oder Medikamentenüberwachung). Unterstützung und Beratung bietet u. a. die Deutsche Epilepsievereinigung – hier findest Du auch regionale Anlaufstellen, Formulare und Ansprechpartner:innen.
Epilepsie ist mehr als nur eine Diagnose – sie ist eine tägliche Herausforderung für Betroffene, Angehörige und Pflegekräfte. Doch mit dem richtigen Wissen, einem sicheren Umfeld und viel Einfühlungsvermögen kann ein selbstbestimmtes und gutes Leben möglich werden.
Du kannst den Unterschied machen: Ob durch ruhiges Verhalten während eines Anfalls, sorgfältige Medikamentengabe oder einfach durch Deine liebevolle Präsenz – jede Geste der Achtsamkeit zählt.
Bei noracares findest Du nicht nur professionelle Pflegekräfte, die sich mit Epilepsie auskennen, sondern auch eine herzliche Plattform zum Austausch, zur Vernetzung und zur gegenseitigen Unterstützung. Denn gemeinsam sind wir stärker – und niemand muss diesen Weg allein gehen.
Du suchst Unterstützung bei der Betreuung eines Menschen mit Epilepsie? Dann melde Dich bei uns – wir sind für Dich da.
- Antiepileptika: Medikamente zur Anfallskontrolle
- Aura: Frühe Warnzeichen vor einem Anfall
- Epilepsie: Chronische neurologische Erkrankung mit wiederkehrenden Anfällen
- Epilepsie-App: Digitale Anwendung zur Dokumentation von Anfällen, Medikamenteneinnahme und Symptomen
- Krampfanfall: Medizinischer Begriff für unkontrollierte Muskelzuckungen infolge neurologischer Reize, häufig im Rahmen einer Epilepsie
- Pflegebedürftigkeit: Der Grad an Unterstützung, den eine Person im Alltag benötigt – etwa bei der Körperpflege, Mobilität oder Medikamenteneinnahme
- Pflegegrad: Einstufung der Pflegebedürftigkeit zur Unterstützung durch Pflegegeld
- Stabile Seitenlage: Lagerung zur Sicherung der Atmung nach einem Anfall
- Status epilepticus: Länger als 5 Minuten anhaltender Anfall – medizinischer Notfall