Zwischen Sozialausgaben und Nulldefizit – wie viel kann und muss der Staat für die Pflege tun?

Österreich ist stark durch sein Sozialsystem geprägt. Der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt liegt bei rund 30% - im EU Vergleich ein relativ hoher Wert – und nach einer Studie ist der Sozialstaat einer der wesentlichsten Faktoren, die zur Standortqualität des Landes beitragen. Die Vertrautheit des Systems führt unweigerlich zu der Selbstverständlichkeit, dass man soziale Leistungen und demnach auch Unterstützung in der Pflege bekommen kann, wann immer man sie braucht. Doch wie viel muss der Staat eigentlich tatsächlich für die Pflege tun? Dieser Frage widmen wir uns heute im heutigen Beitrag.

 

 

 

Sozialstaat Österreich – was tut der Staat für die Pflege?

Österreich ist eine Gesellschaft, die sich zu sozialer Gerechtigkeit und Solidarität bekennt. Ein Sozialstaat hat die Aufgabe, für stabile Lebensbedingungen für alle Bürger und für den sozialen Ausgleich zu sorgen. 

 

Im jungen Alter kann man etwa von Ausbildungsplätzen profitieren, während man im Alter durch Pension und Pflegegeld gestützt wird. Gleichzeitig soll auch jeder selbst über die Verwendung dieser Beiträge verwalten können. Überdies wird durch das zugrunde liegende Solidaritätsprinzip auch die notwendige Mentalität für sozialen Zusammenhalt geschaffen, die in Krisenzeiten als Anker dienen soll.

Letzteres kann man besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Gesundheitskrise erkennen, denn gerade in solchen Zeiten zeigt sich die Stärke eines funktionierenden Sozialstaates sehr deutlich. Das System basiert auf einem Prinzip des Gebens und Nehmens. Finanziert wird es zum Großteil durch Sozialversicherungsbeiträge und allgemeine Steuermittel. Die Beiträge werden dann in Form von sozialen Leistungen unter anderem in den Bereichen Krankheit und Gesundheitsversorgung, Familie und Kinder, Bildung, Arbeitslosigkeit und Alter an die Gesellschaft zurückgegeben.

 

Im Jahr 2017 wurden 44,2% dieser Beiträge für den Bereich Alter und Pflege ausgegeben. Pflegebedürftige werden in erster Linie durch staatliches Pflegegeld unterstützt. Mittels eines ärztlichen Gutachtens wird die Pflegebedürftigkeit beurteilt und in eine von sieben Stufen eingeteilt, die an den monatlichen Pflegebedarf gekoppelt sind. Die entsprechenden Beiträge bewegen sich zwischen mindestens 161,10 Euro und maximal 1.719 monatlich. 

 

Auf die Gewährung des Pflegegeldes besteht ein Rechtsanspruch. Weiters gibt es Förderungen für 24-Stunden-Betreuung zu Hause sowie Zuschüsse für pflegende Angehörige. Gerade in Bezug auf Maßnahmen zur Entlastung dieser wurden im türkis-grünen Regierungsprogramm 2020 einige Punkte angesprochen, die in Zukunft tragend werden können.

Drei Personen halten sich an den Händen

Kritik am System und zukünftige Entwicklungen

Kritikfrei ist die Finanzierung des Pflegebereichs seitens des Staates sicherlich nicht: Falsche Einstufungen der Pflegebedürftigkeit würden zu finanziellen Schwierigkeiten führen, überdies sei das das Pflegegeldsystem höchst bürokratisch und schwer zu durchblicken. Rund 1.100 Anfragen zum Thema Pflegegeld erreichten im Jahr 2019 das Arbeitsamt, weshalb es laut Arbeiterkammer- Präsident Johann Kalliauer als Dauerbrenner gilt. Ohnehin handle es sich um einen Bereich, der einer Überarbeitung bedarf, welche aber seit Jahren nur vor sich hergeschoben würde.

 

Hinzu kommt ein generelles Problem, das den Sozialstaat prägt: Während man grundsätzlich weiß, dass man manchmal mehr zahlen muss, als man zurückbekommt, ist ein zu großes Ungleichgewicht im Verhältnis von Leistungsnehmern und Leistungsträgern problematisch – sprich: wenn es immer mehr gibt, die Leistungen beziehen und immer weniger, die etwas dafür zahlen, wird es schwierig. 

 

Vor dem Hintergrund der Prognose, dass im Jahr 2050 jeder zehnte Österreicher über 80 Jahre alt sein wird, wird aber genau diese Situation immer wahrscheinlicher und immer mehr Menschen werden Pflegegelder und staatliche Zuschüsse in Anspruch nehmen müssen. Gleichzeitig werden sich auch immer mehr Leistungsträger demnach auch ungerecht behandelt fühlen. Soll der Sozialstaat also ausgebaut werden, um dem steigenden Bedürfnis an Unterstützung im Pflegebereich gerecht zu werden, oder würde dies nur zu mehr Abhängigkeit und zu einem größeren Ungleichgewicht führen?

 

Eine Waage mit Kisten darauf

 

Zwischen Sozialausgaben und Nulldefizit

Bei der Frage nach der Beteiligung des Staates in der Pflege, muss ein weiterer Faktor miteinbezogen werden. Der hohe Anteil an Sozialausgaben beeinflusst maßgeblich den gesamten Staatshaushalt und somit auch das Nulldefizit, der Idee eines Staates ohne Neuverschuldung. Während das Prinzip eines Ausgleichs von Einnahmen und Ausgaben logisch und nicht grundsätzlich abzulehnen ist, sind die Maßnahmen zur Erreichung dessen fraglich. Es entstehen nicht selten Interessenskonflikte.

 

Unter „Sparpolitik“ getarnte Kürzungen der Sozialausgaben führen häufig nur zu einer Umverteilung des Geldes von den Armen zu den Reichen. Warum ist das so? Laut einer Studie des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung werden annähernd die der sozialstaatlichen Ausgaben von Menschen im unteren Einkommensdrittel bezogen. Angenommen es gäbe weder finanzielle Unterstützung bei der Pflege und Betreuung, noch bei der Prävention, dann wäre man dazu gezwungen, in private Versicherungen und Gesundheitsvorsorge zu investieren - für die Reichen kein Problem, doch die sozial weniger begünstigten Menschen stehen vor Schwierigkeiten.

 

Während im Jahr 2018 seit Jahrzehnten erstmals das Nulldefizit erreicht wurde und die Bestrebungen, dieses aufrecht zu erhalten nach wie vor vorhanden sind, wurde dieses Ziel vor dem Hintergrund der Corona-Krise und den damit einhergehenden Maßnahmenpaketen ohnehin verworfen. Ein ausgeglichener Haushalt sei wichtig, jedoch nicht so wichtig wie die Gesundheit der Österreicher, die Arbeitsplätze und der Standort Österreich, so Finanzminister Gernot Blümel.

 

Euro Banknoten und Währungsdiagramm

 

Pflegekosten – also reine Staatssache?

Alles bisher Angeführte lässt auf eine Tatsache schließen: Der Staat macht relativ viel in Bezug auf Sozialleistungen und Pflegefinanzierung. Für viele, die sich bei dem Gedanken die Haare raufen, wie sie für die Pflege ihrer Liebsten aufkommen sollen, ist es eine Selbstverständlichkeit, dass einem der Staat unter die Arme greift. Was man sich aber vor Augen führen sollte ist, dass der Sozialstaat, wie wir ihn heute kennen, absolut keine Selbstverständlichkeit ist und aus den vergleichsweise katastrophalen Lebensbedingungen des 19. Jahrhunderts heraus entstanden ist

 

Ist der Staat deshalb allein für das Tragen der Pflegekosten verantwortlich? Natürlich nicht. Er ist ebenso auf all jene angewiesen, die sich an der Pflege beteiligen, wie diese auf den Staat angewiesen sind. Und das sind nicht wenige. 

 

In Österreich werden rund 80% aller pflegebedürftigen Menschen durch den Partner oder durch Familienmitglieder in den eigenen vier Wänden gepflegt. Diese 80% haben eine große Bedeutung für das Pflegesystem. Aus diesem Grund werden wiederum zahlreiche staatliche Maßnahmen gesetzt, um sie zu unterstützen, denn Angehörige sollen sich genauso wenig für die Pflege ihrer Liebsten zur Gänze aufopfern müssen, wie es der Staat für die Pflege des gesamten Landes muss.

 

Ein Gleichgewicht muss her. Es sei jeder Einzelne dazu aufgefordert, sich zumindest genügend Gedanken dazu zu machen, wie man selbst Unterstützung bieten kann, bevor die komplette Verantwortung dem Staat zugeschoben wird. Dies soll nicht nur um der Entlastung des Staates Willen sein, sondern auch um der zahlreichen Menschen Willen, die auf die Unterstützung vielleicht noch mehr angewiesen sind, als man selbst.

 

Das Ziel: Ein bestmögliches Zusammenspiel

Lächelnde Nora

 

Die Finanzierung der Pflege kann also weder zur reinen Staatsangelegenheit, noch zur reinen Privatsache erklärt werden. Der Staat soll es sich zur Aufgabe machen Angehörige dabei zu unterstützen, ihre Angehörigen zu pflegen, denn die Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und kann weder von einer noch von der anderen Partei zur Gänze übernommen werden. 

 

Viele erachten die Unterstützung des Staates als Selbstverständlichkeit. Man sollte sich aber vor Augen führen, dass dem nicht so ist. Der Staat befindet sich nämlich in einem ständig auszubalancierenden Gleichgewicht zwischen Leistungsträgern und -nehmern. Natürlich kann und soll sich der Staat um Pflegekosten annehmen, andernfalls würde er nicht seiner Rolle als Sozialstaat gerecht werden. 

 

Andererseits sollten Angehörigen ebenso zur Verantwortung gezogen werden. Dies sollte eigentlich auch aus einer eigenen Motivation heraus erfolgen. Denn die Verminderung der Pflegekosten durch Übernahme von verschiedenen leichten Pflegetätigkeiten oder durch Zuzahlung ist, die beste Möglichkeit ihren Eltern, die ja auch jahrelang in ihre Kinder investiert haben, im Alter etwas zurückzugeben.

 

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