Künstlerische Therapien in der Pflege
"Wie können Bewegung, Kunst und Performance nicht nur künstlerisch interessant und inspirierend, sondern auch heilsam für den Menschen und die zwischenmenschlichen Beziehungen sein und generell das physische und psychische Wohlbefinden fördern?” (Halprin, 2003)
Mit dieser Frage beschäftigt sich Daria Halprin, die als Künstlerin und Tanztherapeutin an der Schnittstelle von Kunst und Therapie arbeitet. Sie hat, wie bereits zahlreiche Psychologen vor ihr entdeckt, dass Kunst, Bewegung und Musik positive Effekte bei sowohl psychischen als auch körperlichen Beschwerden auslösen können. Aus diesem Grund kann das Konzept der künstlerischen Therapien als Ergänzung zu konservativen Therapie- und Pflegemöglichkeiten eine wirksame Begleittherapie bei alters- und krankheitsbedingten Beschwerden sein.
Was sind künstlerische Therapien?
Der Einsatz von Kunst, Bewegung oder Musik in der Therapie wird unter dem Überbegriff „Künstlerische Therapie“ zusammengefasst. Bei dieser Form der Therapie können verschiedenste künstlerischer Tätigkeiten und Ausdrucksformen zum Einsatz kommen, unter anderem
- Malen
- Gestalten
- Singen
- Schauspiel
- Schreiben
- Dichten
- Bewegung
- Tanz
Die Therapie umfasst das aktive Ausführen der Tätigkeiten, die rezeptive Wahrnehmung von künstlerischen Werken sowie die Betrachtung und Reflexion eigener Werke und den anschließenden Austausch in der Gruppe oder mit dem Therapeuten oder der Therapeutin.
Die Therapien bedienen sich der kreativen Ausdrucksmöglichkeiten des Menschen und stellen die Imagination bzw. die Kreativität in den Mittelpunkt. Diese beiden Faktoren werden als wichtige Mittel zur Aktivierung von Heilungsprozessen erachtet. Die Grundlage für die Wirkungsweise von künstlerischer Therapie basiert auf mehreren psychologischen Ansätzen, unter anderem der Tiefenpsychologie, der Verhaltenspsychologie, der Gestaltpsychologie und der Somatopsychologie.
Wie wirkt sich künstlerische Therapie auf die Gesundheit aus?
Die Ziele und die Wirkungsweise von künstlerischer Therapien auf den Menschen sind verschiedenster Natur. Grundsätzlich lassen sich sowohl Effekte auf psychologischer als auch auf physischer Ebene feststellen.
Entspannung
Die Wirkungsweise lässt sich zum einen durch den Entspannungseffekt erklären, der ausgelöst wird. Der Mensch lebt von einer Wechselwirkung aus Spannung und Entspannung.
Diese Abwechslung ist wichtig, um gesund und ausgeglichen zu sein. Bleibt die Entspannung jedoch aus, kann es vorkommen, dass bestimmte Stoffwechselprozesse im Organismus nicht mehr zu Ende geführt werden können. In weiterer Folge wird der Selbstheilungsprozess beeinträchtigt und der Körper wird anfällig für Krankheiten.
Kunst und Musik können dazu führen, dass genau dieser Entspannungsprozess erreicht oder gefördert wird. Das Vertiefen in künstlerische Aktivität kann einen sogenannten Flow-Zustand auslösen. In diesem Zustand wird die komplette Aufmerksamkeit auf eine einzelne Tätigkeit gerichtet, während zugleich Endorphine ausgeschüttet werden.
Selbstwahrnehmung stärken
Künstlerische Tätigkeit im therapeutischen Kontext fordert gezielt dazu auf, sich auf eine neue Weise intensiv mit eigenen Empfindungen und Problemen auseinanderzusetzen. Die Betätigung bietet negativen Gefühlen, Konflikten und Belastungen ein Outlet, ohne dass diese verbal geäußert werden müssen. Dabei kann eine bewusste Distanzierung zu dem Konflikt geschaffen werden und anschließend auf eine neue Weise betrachtet werden. Weiters wird das persönliche Ausdrucksvermögen gefördert und die Reaktionen auf eigens erschaffene Werke erforscht.
Die Patientin oder der Patient wird durch die künstlerische Betätigung dazu aufgefordert, sich verstärkt selbst zu beobachten und sich auf spontane Impulse zu konzentrieren. Dies führt in weiterer Folge dazu, ein besseres Selbstbild zu erzeugen und ist daher besonders wirksam bei Personen, die aufgrund von Erkrankungen ein verzerrtes Selbstbild haben.
Sinnhaftigkeit und Leidenschaft
Überdies kann das Gestalten von beispielsweise Kunstwerken auch dazu führen, dass insbesondere alte oder beeinträchtigte Menschen ein neues Gefühl von Sinnhaftigkeit oder Leidenschaft verspüren. Sie fühlen sich wieder brauchbar, weil sie selbst etwas erschaffen und geleistet haben. Häufig werden dadurch auch vergessene Fähigkeiten oder Talente sichtbar und verhelfen dazu, insbesondere bei Demenz, wieder Erinnerungen zu wecken.
Bewegung
Nicht zuletzt sind viele Bereiche der künstlerischen Therapie, insbesondere die Tanz- und Bewegungstherapie oder die Musiktherapie mit körperlicher Betätigung verknüpft. Dies ist wichtig, da alters- oder krankheitsbedingte Beschwerden nicht selten verursachen, dass Bewegung mit negativen Vorstellungen verbunden und deshalb vermieden wird. Bewegungstherapie kann hier Abhilfe schaffen und einen neuen Ansporn bieten.
Förderung der Motorik
Aufgrund der detaillierten Arbeiten wird zudem die Motorik gefördert und verbessert. Überdies werden die Augen- und Handkoordination trainiert und die Zusammenarbeit der beiden Gehirnhälften verbessert. Dies kann sich in weiterer Folge abseits der Therapie in täglichen Abläufen zeigen, wenn beispielsweise die Körperpflege plötzlich einfacher von Statten geht.
Schmerzen lindern
Viele Menschen im Alter verspüren Schmerzen aufgrund körperlicher Gebrechen. Studien zeigen, dass hier allen voran die rezeptive Musiktherapie Abhilfe schaffen kann, indem sie eine entspannende Wirkung hervorruft. Dies wurde im Zuge der Studie durch das Messen diverser Funktionen des vegetativen Nervensystems, wie der Muskelaktivität, Atem- und Herzfrequenz und elektrischer Hautwiderstand, herausgefunden. Die Musiktherapie kann in weiterer Folge auch das allgemeine Befinden sowie die Schlafqualität verbessern.
Für wen eignen sich künstlerische Therapien?
Am häufigsten kommen künstlerische Therapien in der Konfliktbewältigung oder -prävention oder in der Krankheitsverarbeitung zum Einsatz. Dabei kann sie sowohl für Kinder als auch Seniorinnen und Senioren sowie für Beeinträchtigte wirksam sein.
Behandlung von Psychosen
Ebenfalls kommen künstlerische Therapien auch häufig bei der Behandlung von Psychosen zum Einsatz. Diese psychischen Störungen zeichnen sich häufig durch einen Mangel an verbalen Ausdrucksmöglichkeiten aus.
Der körperliche Ausdruck, insbesondere bei Bewegungstherapie, dient in diesem Fall als Kompensation für diesen Mangel. Ein besonders positiver Effekt kann erreicht werden, wenn die Therapie in Gruppen stattfindet, denn somit kann Interaktion mit anderen und die Reintegration in ein soziales Umfeld stattfinden. Ein weiterer Vorteil bei der Bewegungstherapie in der Gruppe ist, dass man mit Berührungsängste, die typischerweise mit Psychosen einhergehen, konfrontiert wird und diese in weiterer Folge gelindert werden können.
Die Therapie ermöglicht es den Psychosepatientinnen und -patienten zudem, ihren Körper von Grund auf neu zu entdecken und die verzerrten Bilder der Selbstwahrnehmung auflösen zu können. Durch langfristige Therapien werden neue positive Erfahrungen ermöglicht und somit das Selbstwertgefühl erheblich verbessert.
Demenz
Auch bei Demenz kann künstlerische Betätigung dazu verhelfen, positive Effekte zu erzielen, die sich bereichernd auf diverse Lebensbereiche auswirken können. Die Wahrnehmung von Ästhetik und das Kunstempfinden liegt in einem Gehirnareal, dass nicht von Demenz betroffen ist, weshalb es Sinn macht, genau dort anzusetzen.
Die Therapie dient bei Demenz insbesondere dazu, mit der Umwelt zu interagieren und eine alternative Ausdrucksmöglichkeit zu finden, wenn nicht mehr die richtigen Worte gefunden werden können. Kunst ruft zudem Emotionen hervor, weil sie Erinnerungen weckt und verhilft dazu, verloren geglaubte Fähigkeiten wieder zu entdecken. Dies kann bewirken, dass das Selbstwertgefühl gesteigert wird.
Diese Erfolge sind leider nicht immer von Dauer, denn oft vergessen Betroffene schnell wieder, was sie erschaffen haben. Durch das Aufbewahren von Kunstwerken beispielsweise, die signiert und im Zimmer aufgehängt werden, kann ein Erinnerungsstück geschaffen werden, dass den/die Betroffene vielleicht wieder erinnern lässt.
Nicht nur das aktive Durchführen von künstlerischen Tätigkeiten, sondern auch die rezeptive Kunsttherapie kann sich positiv auf das Wohlbefinden von Demenzkranken auswirken. Darunter versteht man das Auseinandersetzen mit Kunst, indem man beispielsweise eigene oder fremde Kunstwerke betrachtet, Musik hört oder eine Tanzperformance sieht.
Auch Museumsbesuche fallen unter diese Kategorie. Aus diesem Grund gibt es eigene Museen, die Führungen für Demenz-Patienten anbieten. Die Ausstellungen sind auf die Bedürfnisse abgestimmt und zeigen wenige, klar strukturierte Kunstwerke, die Denkimpulse anregen sollen, aber den Betrachter oder die Betrachterin nicht überfordern oder zu sehr aufregen. Solche Angebote gibt es beispielsweise in der Albertina in Wien oder im Museum Steyr
Lernschwäche und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen
In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 18 Jahren finden künstlerische Therapien eine ihrer häufigsten Anwendungen. Man setzt sie im Speziellen zur Behandlung von Störungen im Lern- oder Leistungsverhalten ein, sowie bei Auffälligkeiten im generellen Verhalten und in der Motorik.
Zu den häufigsten Gründen für die Entwicklung von Lernstörungen oder Verhaltensauffälligkeiten zählen mangelnde Aufmerksamkeit und Zuwendung seitens der Eltern sowie Vernachlässigung und Missbrauch jeglicher Art. Kinder zeigen als Folge davon häufig auffälliges, aggressives Benehmen oder resultieren in depressivem Rückzug von der Gruppe. Schwierigkeiten beim Erlernen von neuen Dingen, gehen mit Störungen in der Koordination und im Sprechen einher.
Typischerweise möchte sich die künstlerische Therapie auch hier mit der Behandlung der Ursachen beschäftigen. Ziele, die angestrebt werden, sind beispielsweise die Förderung der motorischen und koordinativen Fähigkeiten, die Befähigung zur eigenständigen Problemlösung sowie zur sozialen Interaktion mit Gleichaltrigen. Ein weiterer positiver Effekt von Bewegung, ist das Entladen aufgestauter Energie, besonders bei Kindern mit auffälligem, aggressivem Benehmen.
Im Unterschied zur Arbeit mit Erwachsenen, steht bei der Therapie mit Kindern nicht das bewusste Auseinandersetzten mit deren Gefühlen und psychischen Vorgängen im Zentrum. Es wird vielmehr der natürliche Bewegungsdrang der Kinder auf kontrollierte Weise unterstützt und in Lernerfolge umgewandelt. Deshalb findet sie bei ihnen mehr auf der körperlichen, als der mentalen Ebene statt. Da aber gerade Kinder und Jugendliche auf Emotionen stärker und sensibler reagieren, ist mehr Vorsicht und behutsame Herangehensweise gefragt.
Fazit
Durch die vielschichtige Wirkungsweise von künstlerischen Therapien stellen diese eine optimale Begleitung zu traditionellen Behandlungsmöglichkeiten dar. Sie werden unabhängig von Alter oder Krankheit angewandt und bieten dem/der Betroffenen ein Outlet für Emotionen und tragen zur besseren Selbstwahrnehmung bei. Zudem werden auch körperliche Effekte festgestellt, indem die Motorik verbessert wird oder die Bewegung gefördert wird.
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