Gewalt in der Pflege: Erkennen, Vorbeugen & Deine Sicherheit als Pflegekraft
Wenn Pflege zur Belastungsprobe wird: Wie Du Gewalt erkennst, Dich schützt und Hilfe findest
Gewalt in der Pflege ist ein Thema, das oft verschwiegen oder bagatellisiert wird – und trotzdem begegnet sie vielen von uns im Arbeitsalltag. Ob in der häuslichen Betreuung, im Pflegeheim oder Krankenhaus: Gewalt hat viele Gesichter und kann jede:n treffen – Pflegebedürftige, pflegende Angehörige und auch Dich als professionelle Pflegekraft.
Vielleicht erinnerst Du Dich an einen Moment, in dem ein schwieriges Gespräch, ein abwertender Blick oder eine aggressive Handlung Dich tief getroffen hat. Gewalt in der Pflege passiert oft leise, manchmal schleichend – und trotzdem hinterlässt sie Spuren. Wusstest Du, dass laut aktuellen Studien jede dritte Pflegekraft in Deutschland oder Österreich bereits psychische oder körperliche Gewalt erlebt hat? Das ist eine Realität, die wir nicht länger ignorieren dürfen.
In diesem Artikel erfährst Du, wie Du Gewalt erkennst, was Du zur Prävention tun kannst und welche Anlaufstellen es für Dich gibt. Gemeinsam sorgen wir dafür, dass Pflegebeziehungen sicher, respektvoll und gewaltfrei bleiben – für Dich und Deine Schützlinge.
Gewalt verstehen: Die unsichtbaren Seiten im Pflegealltag
Gewalt hat viele Gesichter: Was zählt überhaupt dazu?
Gewalt in der Pflege ist mehr als nur Schlagen oder lautes Schreien. Sie zeigt sich oft ganz subtil – durch Ignorieren, Demütigungen, unangemessene Ansprache, finanzielle Ausbeutung oder das Unterlassen notwendiger Hilfe. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gewalt in der Pflege als „jede einmalige oder wiederholte Handlung oder das Unterlassen einer angemessenen Reaktion im Rahmen einer Vertrauensbeziehung, wodurch einer älteren Person Schaden oder Leid zugefügt wird“.
Mehr dazu beim ZQP – Zentrum für Qualität in der Pflege
Fallbeispiel:
Sabine arbeitet seit fünf Jahren als Pflegekraft in einer Seniorenresidenz in Österreich. Sie liebt ihren Beruf, freut sich jeden Tag auf den Austausch mit den Bewohner:innen und ist mit ganzem Herzen dabei. Doch der Alltag ist oft eine echte Herausforderung: Das Team ist regelmäßig unterbesetzt, Zeitdruck und ständig neue Aufgaben bestimmen den Tagesablauf.
An einem besonders hektischen Tag wird Sabine zu Frau M. gerufen – einer Bewohnerin, die seit Kurzem unter starker Verwirrtheit leidet. Frau M. wehrt sich beim Waschen, schlägt mit den Händen um sich, will nicht angezogen werden. Sabine spürt, wie ihre eigene Geduld schwindet. Im Stress und unter dem Druck, rechtzeitig alle Aufgaben zu erledigen, spricht sie lauter als sonst, wird ruppig, zieht Frau M. etwas unsanft das Hemd über den Kopf und drängt sie, schneller zu machen.
Im Pausenraum erzählt Sabine später ihren Kolleg:innen, wie schwierig die Situation war und dass sie manchmal das Gefühl hat, dem eigenen Anspruch an empathische Pflege nicht mehr gerecht zu werden. Sie merkt, dass sie seit einiger Zeit ungeduldiger ist, sich manchmal über Bewohner:innen ärgert oder Worte sagt, die sie später bereut – und dass sie sich danach schuldig fühlt.
Ein paar Tage später spricht eine erfahrene Kollegin Sabine an. Sie fragt vorsichtig, wie es ihr wirklich geht und ob ihr etwas auf dem Herzen liegt. Im gemeinsamen Gespräch wird Sabine bewusst, wie sehr sie tatsächlich unter Druck steht – und wie leicht es ist, dass Überforderung in kleine, manchmal unbemerkte Formen von Gewalt münden kann, wie ruppiges Anfassen oder harte Worte.
Sabine beschließt, sich Unterstützung zu holen, nimmt an einem Workshop zur Gewaltprävention teil und tauscht sich offen mit ihrem Team über Stress, Grenzerfahrungen und Überforderung aus. Sie lernt, ihre eigenen Warnsignale besser zu erkennen, Pausen bewusster zu nehmen und Hilfe einzufordern, wenn es zu viel wird. Heute weiß sie: Gewalt in der Pflege hat viele Gesichter – und beginnt oft im Kleinen, besonders dann, wenn niemand über die eigenen Belastungen spricht. Es ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Professionalität, sich Hilfe zu holen und über die eigenen Gefühle und Herausforderungen zu sprechen.
Typische Gewaltformen laut ZQP und WHO:
Gewalt ist nicht immer offensichtlich! Auch respektlose Kommunikation, fehlende Zuwendung oder das Vorenthalten von Infos zählt dazu.
Gewalt betrifft alle: Wer ist betroffen?
Gewalt in der Pflege kann jede Seite treffen – und auch von allen Seiten ausgehen:
- Pflegekräfte gegenüber Pflegebedürftigen
- Pflegebedürftige oder Angehörige gegenüber Pflegekräften
-
Bewohner:innen untereinander im Heim
Stell Dir vor, Du wirst im Pausenraum für einen Fehler kritisiert, obwohl die Zeit knapp war – das ist psychische Gewalt. Oder Du wirst von einer demenzkranken Person gestoßen oder beschimpft – das verletzt und erschöpft. Gewalt ist nie „normal“ und kein Berufsrisiko, das man einfach hinnehmen muss!
Ursachen von Gewalt in der Pflege: Woher kommt sie?
Im Pflegealltag trägst Du eine große Verantwortung – für das Wohl der Dir anvertrauten Menschen, aber auch für Deine eigene Gesundheit. Doch wenn der Druck zu groß wird, kann sich das Klima schnell verändern. Gewalt in der Pflege hat viele Ursachen – und sie entstehen oft dort, wo Überforderung auf Schweigen trifft.
Berufliche Überlastung: Wenn der Druck zu groß wird
Stell Dir vor: Schon vor Arbeitsbeginn weißt Du, dass der Tag wieder zu kurz sein wird. Das Team ist unterbesetzt, neue Aufgaben kommen ständig dazu, und die Bedürfnisse der Bewohner:innen stapeln sich. Dieser ständige Stress und Zeitdruck belasten Körper und Seele – und führen manchmal dazu, dass Du gereizter reagierst, ungeduldig wirst oder weniger empathisch auf herausforderndes Verhalten eingehst.
Studien zeigen: Personalmangel, fehlende Pausen und mangelnde Unterstützung sind zentrale Ursachen, warum Pflegekräfte – und auch pflegende Angehörige – an ihre Grenzen geraten. Wird diese Überforderung nicht erkannt oder angesprochen, steigt das Risiko für Fehler, Missverständnisse und sogar Gewalt – ganz gleich, wie sehr Du Dich bemühst, immer professionell zu bleiben.
Gesellschaftliche & persönliche Faktoren: Wenn Tabus den Weg versperren
Nicht nur die Arbeitsbedingungen, sondern auch gesellschaftliche und persönliche Faktoren beeinflussen das Risiko für Gewalt. Oft fehlt die Sensibilisierung – Gewalt wird verharmlost, tabuisiert oder gar nicht erst als solche erkannt. Sätze wie „Das war doch nicht so gemeint“ oder „Das gehört halt dazu“ sind leider noch immer Alltag.
Hinzu kommt: Wer selbst in der Vergangenheit Gewalterfahrungen gemacht hat oder psychisch belastet ist, kann schneller in destruktive Verhaltensmuster rutschen – manchmal, ohne es zu merken. Auch Suchtprobleme oder unbewältigte Krisen erhöhen das Risiko für aggressives Verhalten im Pflegealltag.
Gewalt vorbeugen: Was Du aktiv tun kannst
Gewalt in der Pflege ist kein unabwendbares Schicksal – Du kannst aktiv dazu beitragen, dass der Pflegealltag sicherer, respektvoller und wertschätzender wird. Prävention beginnt bei Dir selbst, im Team und bei allen, die Verantwortung tragen.
1. Anzeichen früh erkennen – für Dich und Deine Schützlinge
Das frühzeitige Erkennen von Gewalt ist der wichtigste Schritt zur Prävention. Gewalt hat viele Gesichter: Sie kann laut und sichtbar, aber auch leise und subtil sein. Deshalb ist es so wichtig, auf Warnzeichen zu achten – bei pflegebedürftigen Menschen genauso wie bei Dir selbst.
2. Deine Resilienz stärken – so schützt Du Dich
Eine starke innere Widerstandskraft (Resilienz) ist der beste Schutz gegen Überforderung und die Entstehung von Gewalt. Du kannst Resilienz trainieren – oft mit kleinen Übungen, die sich leicht in Deinen Alltag integrieren lassen.
- Entspannungstechniken: Atme bewusst tief durch, spüre, wie sich Deine Schultern senken, und lass für einen Moment den Alltag los. Schon fünf Minuten bewusste Atmung oder eine kurze Pause können Wunder wirken und helfen, Stress und aggressive Impulse zu regulieren.
- Supervision & Austausch: Suche regelmäßig das Gespräch im Team oder nutze anonyme Beratungsangebote, wie die Arbeiterkammer Österreich. Geteilte Erfahrungen helfen, eigene Belastungen zu erkennen und Lösungen zu finden.
- Selbstschutz: Bleib in Grenzsituationen ruhig, setze freundlich, aber klar Grenzen – und hole Dir Hilfe, wenn Du sie brauchst. Deine Sicherheit hat oberste Priorität.
- Weiterbildung: Nutze jede Gelegenheit für Schulungen zu Gewaltprävention, Deeskalation und gewaltfreier Kommunikation. Wissen ist Schutz!
3. Verantwortung des Arbeitgebers – Deine Sicherheit geht vor
Pflegeeinrichtungen und Arbeitgeber tragen eine große Verantwortung, um Gewalt in der Pflege vorzubeugen und für Deine Sicherheit zu sorgen. Gute Arbeitgeber nehmen dieses Thema ernst und setzen klare Maßnahmen um:
- Psychische Evaluierung: Regelmäßige Überprüfung der psychischen Belastung und Arbeitsbedingungen.
- Schulungen & Fortbildungen: Laufende Angebote zu Gewaltprävention, Kommunikation und Stressmanagement.
- Technische Maßnahmen: Notruftasten, sichere Arbeitsplätze, Notfallpläne und ausreichend Personal.
- Meldesystem: Eine einfache und klare Möglichkeit, Gewaltvorfälle anonym zu melden und zu dokumentieren.
- Präventionskultur: Förderung eines wertschätzenden, respektvollen und offenen Umgangs im Team – hier darf niemand mit Sorgen oder Ängsten allein sein!
Was tun im Akutfall? Deine Rechte & Möglichkeiten
Manchmal passiert es ganz plötzlich: Du wirst Zeuge oder selbst Opfer von Gewalt im Pflegealltag. Gerade dann ist es wichtig, schnell und besonnen zu handeln – und zu wissen, welche Schritte Dich und andere schützen. Hier findest Du Deinen klaren Notfallplan für den Ernstfall:
Dein Notfallplan bei Gewalt – Schritt für Schritt
Anlaufstellen für Hilfe in Österreich & Deutschland
Wenn Du Unterstützung suchst oder einen Vorfall melden möchtest, gibt es zahlreiche seriöse Anlaufstellen, die Dir weiterhelfen:
- Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) – Gewaltprävention
- Sozialministerium Österreich – Gewalt in der Pflege
- Pflege und Leben – Beratungshotline Telefonische Beratung und Unterstützung für Angehörige und Pflegekräfte
- Nummer gegen Kummer Kostenlose, anonyme Hilfe für alle Altersgruppen
Gemeinsam gegen Gewalt in der Pflege! Gewalt in der Pflege betrifft uns alle – als Pflegekraft, Angehörige:r oder pflegebedürftige Person. Sie beginnt oft leise und bleibt zu lange unbemerkt. Doch Du bist nicht hilflos! Mit Wissen, Achtsamkeit und Unterstützung kannst Du viel für Deine eigene Sicherheit und das Wohl Deiner Schützlinge tun. Sprich offen über Deine Gefühle, beobachte Warnsignale und suche frühzeitig Unterstützung – bei Kolleg:innen, Beratungsstellen oder in der noracares Community. Gemeinsam sagen wir NEIN zu Gewalt in der Pflege. Denn: Respekt, Würde und Sicherheit sind nicht verhandelbar.
- Gewalt in der Pflege: Alle Handlungen oder Unterlassungen, die Pflegebedürftigen Schaden oder Leid zufügen – körperlich, seelisch, sexuell, finanziell oder strukturell.
- Psychische Gewalt: Verletzung durch Worte, Drohungen, Ignorieren, Demütigung oder emotionale Vernachlässigung.
- Körperliche Gewalt: Alle Handlungen, die Schmerzen oder Verletzungen verursachen – z. B. Schlagen, Festhalten, grobes Anfassen.
- Sexualisierte Gewalt: Unerwünschte sexuelle Handlungen oder Berührungen im Rahmen der Pflege.
- Strukturelle Gewalt: Schäden, die durch institutionelle Abläufe, Personalmangel, fehlende Ressourcen oder Zwangsmaßnahmen entstehen.
- Finanzielle Ausbeutung: Unrechtmäßige Nutzung oder Wegnahme von Geld oder Vermögenswerten einer pflegebedürftigen Person.
- Vernachlässigung: Unzureichende Versorgung, fehlende Unterstützung bei Pflege, Hygiene, Ernährung oder sozialen Kontakten.
- Resilienz: Innere Widerstandskraft und Fähigkeit, belastende Situationen gesund zu bewältigen.
- Überforderung: Gefühl, den Anforderungen im Pflegealltag nicht mehr gewachsen zu sein – oft Ursache für Stress und Aggressionen.