Betreuung von Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung: „Mensch, bist Du eigentlich behindert?"
Kennst du das japanische Sprichwort „Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“? Ursprünglich bedeutet er, dass man über schlechte Dinge hinwegsehen soll. Wie ist es aber, wenn man sehr gerne hören, sehen und sprechen möchte - dies aber nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr kann? noracares zeigt Wege auf, wie mit diesen körperlichen Einschränkungen in der Pflege umgegangen werden kann.
„Mensch, bist Du behindert?!“ ist ein Ausruf aus der gängigen Jugendsprache und bedeutet dem Gegenüber auf uncharmante Art, doch bitte seine fünf Sinne zu benutzen.
Tatsächlich ist die Stellung von körperlich und geistig behinderten Menschen in der Gesellschaft in den letzten Jahren viel thematisiert worden. Immer mehr und mehr Menschen verstehen, dass Behinderte neben Schwächen auch Stärken haben.
Bleiben wir bei der Sehbehinderung: es gibt typische Blindenberufe wie Physiotherapeut, Telefonist oder Masseur. Das sind Berufe, für die man ein „Händchen“ braucht; und dass der Tastsinn bei Blinden besser ausgebildet ist, ist mittlerweile unumstritten.
Zwar lernen wir, in der Schule und von unseren Eltern, alle Menschen gleich zu behandeln, und dies ist sogar in den allgemeinen Menschenrechten festgehalten – doch wie sieht es mit der Praxis aus?
Betreuung von Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung ODER: nichts hören – nichts sehen
Die blinde 54-jährige Anja ist in Eile. Ihr Taxi steht vor ihrem Wohnhaus. Es soll sie in die Augenklinik bringen.
Anja ist noch in ihrer Wohnung im 4. Stock und packt ihre Sachen in die Tasche. Geldtasche, Handy, … aber wo ist der Schlüssel? Er liegt normalerweise neben der Eingangstüre auf der Konsole.
Anja tastet vorsichtig die Glasplatte des Tischchens ab, findet aber keinen Schlüssel. Ihr bricht der Schweiß aus.
Jetzt wird es richtig unangenehm für sie. Denn da sie nicht sehen kann, beginnt für sie eine möglicherweise stunden-, sicherlich aber minutenlange Suche nach dem Schlüssel. Sie seufzt, stellt die Tasche ab, geht vorsichtig in die Knie und tastet auf allen vieren den Boden um die Konsole ab.
Für Blinde und Taube ist das Leben grundsätzlich anstrengender. Vieles muss genau geplant werden, Kleinigkeiten, die wir nebenbei erledigen, sind für den Nicht Sehenden mit Aufwand verbunden. Dasselbe gilt für den Tauben.
Der Alltag ist viel strukturierter. Wenn ein Tauber an verkehrsreichen Orten unterwegs ist, fehlt ihm ein wichtiger Sinn, um vor der nahenden Gefahr gewarnt zu sein: er hört kein Hupen und keine Warnschreie, die ihn auf diese Gefahr aufmerksam machen. Zudem gehört zum Hören auch das Sprechen: wenn man bereits als junger Mensch bereits an Gehörlosigkeit leidet, kann man auch sein Sprachvermögen nicht ausbilden.
Selbstverständlich ist Erfahrung und Wissen auf dem Gebiet der Altenpflege maßgeblich, um so eine Aufgabe kompetent bewältigen zu können. noracares beleuchtet daher in diesem Beitrag speziell die körperlichen Gebrechen Seh- und Hörbehinderung, um noch besser auf die Bedürfnisse dieser Zielgruppe eingehen können. Wie sehr sich in der Pflege die Praxis von der Theorie unterscheidet.
Wie wir an den obigen Beispielen gesehen haben, ist die Bedrohung durch die Umwelt für Blinde und Taube eine viel höhere. Daher müssen wir mit unserer Betreuung gewährleisten, dass das erhöhte Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit bei den körperlich eingeschränkten Menschen, die wir pflegen, auch befriedigt wird.
Wie können wir dem körperlich eingeschränkten Pflegebedürftigen Sicherheit und Geborgenheit vermitteln?
Der Patient findet die Befriedigung der Wünsche nach Sicherheit und Geborgenheit:
- in täglichen Handlungen, die möglichst gleich bleiben
- indem er bekannten Menschen begegnet und
- deren Verhalten er einschätzen kann
- in gewohnten Situation
Je fremder die Situation, die Umgebung, der Mensch, desto unvorhersehbarer ist natürlich die Folge, und das wiederum gibt dem Pflegebedürftigen das Gefühl, dieser Situation hilflos ausgeliefert zu sein. Angst ist die Folge.
Es dauert lange, bis sich der Pflegebedürftige in einer neuen Umgebung eingerichtet hat, und noch länger, bis er sich in dieser wohlfühlt. Wenn der Pflegebedürftige also im Alter immer schlechter sieht oder hört, ist ein Übersiedeln keine gute Alternative.
Mit der körperlichen Einschränkung einher geht auch das Bedürfnis, das Leben ruhiger zu gestalten. Um den Pflegebedürftigen möglichst viele tägliche Aktivitäten selber durchführen zu lassen, bedeutet dies für die Pflege und Betreuung eines Behinderten, noch mehr Zeit für die täglichen Handgriffe zu investieren und somit dessen Fähigkeiten und Kenntnisse aufrecht zu erhalten.
Zuviel Ruhe schadet wiederum. Der Seh- und Hörbehinderte hat auch das Bedürfnis nach Aktivität. Also gewährleisten wir ihm
- soziale Kontakte
- Selbständigkeit und
- selbstverantwortliches Handeln
Wie wir gesehen haben, braucht unser Patient viel persönliche Zuwendung, besonders
- bei der Bewältigung von Verlusten und Erkrankungen
- bei der Auseinandersetzung mit dem Tod
Betreuung von Menschen mit Hörbeeinträchtigung
Wir unterscheiden die Schwerhörigkeit, das ist eine eingeschränkte Hörfähigkeit, die Taubheit, also völliges Fehlen der Hörfähigkeit, und die Altersschwerhörigkeit, die so genannte Presbyakusis. Wenn der Hörsinn eingeschränkt ist, hat dies auch negative Auswirkungen auf die Orientierung und somit auch auf die Alarmfunktion des Patienten. Zudem kann der Pflegebedürftige angenehme von unangenehmen Geräuschen nicht mehr gut oder gar nicht mehr unterscheiden. Der Gleichgewichtssinn leidet ebenfalls und dadurch die Bewegungen.
Wie erkennen wir die eingeschränkte Hörfähigkeit?
Der Patient könnte andeuten, dass wir nuscheln, er empfindet Hintergrundgeräusche als störend, fragt oft nach, wenn wir etwas sagen, und kommt uns näher, um uns besser zu verstehen. Auch die schiefe Kopfhaltung oder gar die Hand hinter das Ohr zu legen ist ein Indiz dafür, dass wir nicht gut verstanden werden. Wenn er auf Fragen keine passenden Antworten hat, Telefonate vermeidet und zu laut oder zu leise spricht, und zudem den Fernseher und Radio übermäßig laut einstellt, können wir davon ausgehen, dass der Patient schwerhörig ist.
Welche Lösungen für den schwerhörigen oder tauben Pflegebedürftigen gibt es?
Es gibt heutzutage viele technische Hilfen, eines der wichtigsten davon ist das so genannte Cochlea-Implantat. Weitere viel genutzte Hörgeräte sind
- das Hinter dem Ohr (HdO)-Gerät
- das Im-Ohr-Gerät
- die Hörbrille und
- ein Taschengerät
Wir können den Pflegebedürftigen bei der Einstellung unterstützen und so dafür sorgen, dass das technische Gerät tatsächlich benutzt wird. Zudem helfen wir, regelmäßig neue Batterien einzulegen und das Gerät sachgemäß zu reinigen.
Die Gebärdensprache ist eine lautlose Sprache, die aus Hand- und Fingerzeichen und Gesichtsmimiken besteht. Eine Pflegekraft, die die Gebärdensprache versteht und selber anwendet, erleichtert und verbessert das Leben eines schwerhörigen oder tauben Pflegebedürftigen ganz wesentlich.
Nonverbale Kommunikation ist in der Betreuung von Schwerhörigen und Tauben ganz wichtig. Mit Mimik und Gestik können wir also sehr großzügig umgehen !
Tipps im Umgang mit Schwerhörigen und Tauben
Stets nur von vorne annähern, um diese nicht zu erschrecken
Deutlich sprechen, und
das Gesicht klar erkenntlich machen
zudem den Mund zeigen, damit von den Lippen abgelesen werden kann
Geräuschquellen leiser machen oder
in einen ruhigen Raum gehen, wenn man ein Gespräch wünscht
Ruhig und langsam sprechen, ohne zu schreien
Geduld und Verständnis zeigen
Dinge in großen Buchstaben aufschreiben
Sich gegenseitig etwas zu schreiben, ist bei der Betreuung von Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung des Hörorganes eine gute Idee.
Betreuung von Menschen mit Sehbeeinträchtigung
Die eingangs beschriebene Anja ist an den Folgen von Diabetes mellitus über die Jahre ganz erblindet. Sie hat eine Pflegerin namens Nora. Diese kommt dreimal täglich vorbei, um Insulin zu spritzen und nach ihr zu sehen.
In letzter Zeit fällt Nora auf, dass Anja immer mehr in sich gekehrt ist und wenig erzählt. Nora bemerkt, dass durch die Erblindung auch die Körperpflege nicht mehr so gut funktioniert, und ihre Kleidung nicht immer korrekt sitzt.
Darauf angesprochen, antwortet Anja unwirsch, dass sie neulich vom Taxifahrer auf Flecken in der Kleidung aufmerksam gemacht worden sei. Seitdem fährt sie seltener in die Augenklinik. Um zu vermeiden, ausgelacht zu werden, schränkt sie auch den Kontakt zu ihren Freundinnen nach und nach ein.
Wie erkennen wir die eingeschränkte Sehfähigkeit?
Wenn Menschen lange und angestrengt auf ein Formular schauen, sehr nahe an uns herankommen, um uns zu erkennen, oder in unbekannten Räumen unsicher vorwärts gehen. Wenn sie sich auch beim Hinsetzen unsicher bewegen, an angebotenen Dingen vorbei greifen oder Essen und Trinken verschütten und in Situationen unangemessen reagieren, weil sie die Zusammenhänge nicht richtig deuten, oder andere bitten, vorzulesen, dann können wir davon ausgehen, dass der Patient eingeschränkt sehfähig ist.
Welche Lösungen für den sehbeeinträchtigten oder blinden Pflegebedürftigen gibt es?
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Die internationale Blindenschrift heißt „Brailleschrift“. Sie wird durch Abtasten der höher gestellten Punkte gelesen. Eine absolute technische Neuerung wird gerade von der Technischen Universität in Wien erarbeitet: ein mobiles Braille-Display, das mit der Hand über einen gedruckten Text geführt werden kann.
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Technische Hilfsmittel sind auch die Brille und Kontaktlinsen. Diese sind Wertgegenstände, auf die der Patient gut achten soll. Gerne hilft die Pflegekraft dabei.
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Auch der Blindenstock ist ein gutes Hilfsmittel. In der Elektronik hat sich in den letzten Jahren viel getan, es gibt Sprachcomputer mit Eingabehilfen bei Einschränkungen der Sinne.
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Bei Windows ist dies etwa das „Center für erleichterte Bedienung“. Weitere Hilfen sind die Lupe, das Fernrohr oder Fernglas.
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Im elektronischen Bereich arbeiten wir mit Telefonen, Diktiergeräten, Spielen und so genannten Tonbüchern, das sind CDs und Apps auf dem Handy, die Bücher vorlesen können. Elektronische Bildschirmlesegeräte und Textlesesysteme können dem Pflegebedürftigen weiters das Leben erleichtern.
- Beim Fernsehen gibt es spezielle Audio-Unterstützungen, das heißt, während des laufenden Filmes spricht eine Stimme das aktuelle Geschehen beschreibend mit. In manchen Fällen ist ein Blindenführhund empfehlenswert. Der Blindenverband Österreich informiert dazu näher.
Tipps im Umgang mit Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit
Bleiben wir beim Beispiel von Anja. Ihre Pflegerin Nora plant folgende Aktionen:
- Information über den Umgang mit obigen Hilfsmitteln
- Orientierungstraining – Begleitung auf bekannten und unbekannten Wegen
- Unterstützung bei der Körperpflege
- Kontrolle der Füße auf Verletzungen
- Unterstützung bei der Kleiderauswahl
- Mithilfe bei äußerer Erscheinung
- Hilfe beim Haushalt, insbesondere bei der Wäsche
- Gespräche über aktuelle Themen
- Hindernisarmes Gestalten ihrer Wohnung (Pflegepraxis: 3 mal täglich Insulin spritzen und zweimal täglich Augentropfen nehmen)
- Zu Aktivitäten motivieren wie Freundinnen treffen, in die Augenklinik fahren
Seit Nora sich intensiver um die sehbehinderte Anja kümmert, hat Anja an Lebensqualität gewonnen. Sie kommt wieder aus sich heraus, schöpft Lebensmut und wird gesprächiger. Sie fühlt sich sicher, sie hat genug Ruhe und ist aktiv.
Nun möchte sie zunächst einmal ihre Freundinnen zu sich einladen. Das Fernsehen mit Audio-Unterstützung gibt ihr das Gefühl, auf dem Laufenden zu sein. Anja hat ihre Lebensqualität wiedererlangt.
Es geht in unserer Arbeit nicht allein um die Pflegetheorie und -praxis, sondern wir müssen auch Hilfestellung bei sozialen Themen leisten – damit ein Leben und Sterben in Zuversicht möglich werden kann. Grundsätzlich werden wir natürlich präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen nicht nur beim gesunden, sondern ganz besonders beim körperlich eingeschränkten Menschen anwenden. (Link Gesundheitsförderung und Prävention in der Pflege – Link folgt bei Veröffentlichung des Beitrages)
Wir Pflegerinnen und Pfleger sind dafür verantwortlich, die Lebensqualität unserer Pflegebedürftigen hoch zu halten. Dies gelingt uns, indem wir dafür sorgen, die Selbständigkeit und Selbstverantwortung zu unterstützen. Die Stärken noch mehr zu stärken, das ist eine unserer Aufgaben bei der Betreuung von Behinderten und Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen.
Bei Blinden etwa ist dies der Tast- und Hörsinn. Blinde können spüren, wer sich von wo nähert, sie erfühlen den Raum, in dem sie sich befinden, sie spüren Anspannung in Gruppen und riechen sogar Angstschweiß. Und Angst haben sie natürlich, genauso wie Sehende. Sie haben und brauchen einfach nur mehr Mut.
Noras Tipp
Du suchst eine Pflegerin oder einen Pfleger mit Erfahrung in der Betreuung von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen? HIER findest die die für Dich passende Pflegekraft.
Noras Häufig gestellte Fragen (FAQs)
(FAQs) 2 :